30. Juli 2008, 15:16 Uhr Von Dirk Engelhardt und Norbert Schwaldt Bevölkerungsschwund Leipzig lockt mit mietfreien WohnungenWeil in Ostdeutschland immer mehr Häuser verfallen, greifen Eigentümer jetzt zu ungewöhnlichen Mitteln: In Leipzig bieten sie ihre Wohnungen auf Jahre hinaus mietfrei an, damit überhaupt noch jemand einzieht. Doch die Mieter müssen auch eine Gegenleistung erbringen. Foto: dpa-Zentralbild Abriss eines Wohngebäudes in Leipzig: Nun greifen Eigentümer zu neuen Methoden, um Mieter zu finden <a href="http://adserver.adtech.de/addyn|3.0|805.1|1525579|0|-1|ADTECH;size=468x60;loc=300;alias=welt-finanzen-fullsize-oben;key=key1+key2+key3+key4;cookie=info;" target="_blank"><img src="http://adserver.adtech.de/addyn|3.0|805.1|1525579|0|-1|ADTECH;size=468x60;loc=300;alias=welt-finanzen-fullsize-oben;key=key1+key2+key3+key4;cookie=info;" border="0" alt="" /> Ganze Straßenzüge verfallen in den ostdeutschen Städten, weil die Bevölkerungszahl zurückgeht. Im Osten werden im Jahr 2050 immerhin 31 Prozent weniger Menschen leben als heute – im Westen zehn Prozent weniger. Bislang war die Abrissbirne das Hauptinstrument, um den Wohnungsleerstand zu drücken. Trotzdem wird am Jahresende immer noch jede zehnte Wohnung im Osten leer stehen. Insgesamt sind derzeit rund 780.000 Wohnungen in Ostdeutschland ohne Mieter. Stark betroffen ist Leipzig. Dort stehen nach amtlichen Angaben an die 45.000 Wohnungen leer. Wie auch anderswo ist Hauptursache die Abwanderung. Lebten 1989 in der sächsischen Großstadt noch rund 530.000 Menschen, waren es zehn Jahre später nur noch 437.000. Jetzt leben aber wieder an die 507.000 Menschen in der Stadt, weil viele jungen Menschen zugezogen sind. Schließlich sind die Mieten niedrig und man kann sogar auch mietfrei wohnen. Um Bausubstanz zu erhalten und den Leerstand zu verringern, werden nämlich Gründerzeitbauten ohne Mietzahlung angeboten. „Eigentlich hatte ich gar nicht vor, einen Laden zu eröffnen“, erzählt Tommy Fethke aus Leipzig. Seit drei Jahren betreibt er erfolgreich den Internetshop www.akash.de, in dem er Waren aus Indien verkauft. Doch durch das günstige Angebot, einen Laden in einem „Wächterhaus“ zu bekommen, bewarb er sich als einer von rund 50 Interessenten – und bekam den Zuschlag. Am 8. September 2008 wird er zusammen mit seiner Frau den Laden im Stadtviertel Plagwitz eröffnen und damit auch ein Wächter über die alte Bausubstanz.Mit dem Ziel, gefährdeten Gebäuden durch neue Nutzungsideen eine Perspektive zu geben, hatte sich im Oktober 2004 der Verein HausHalten e.V. (www.haushalten-leipzig.de) gegründet, der das mietfreie Wohnen in Leipzig organisiert. In Halle und Chemnitz haben sich schon Schwestervereine organisiert. Hauptziel des Leipziger Vereins, der jetzt sogar mir 134.000 Euro vom Bund unterstütze wird, ist der Erhalt städtebaulich und architektonischer Gebäude. Und auf diesem Gebiet finden Interessierte in Leipzig ein reichliches Betätigungsfeld. Insgesamt sind in der Stadt rund 2000 große Gebäude aus der Gründerzeit nicht bewohnt. Der Verein HausHalten hatte am Anfang vorgesehen, für jedes leerstehende Haus ein bis zwei Wächter einzuteilen, die sich um das Gebäude kümmern sollten, Dachschäden lokalisieren, oder offen stehende Türen oder Fenster. Dass die ausgewählten Häuser schnell vollständig „vermietet“ werden konnten, ahnten die Gründer des Vereins nicht. Unterdessen gibt es in Leipzig schon zwölf solcher „Wächterhäuser“. Für insgesamt 100 Wohnungen konnten Mieter gefunden werden.Besonders hoch ist der Leerstand im Stadtteil Plagwitz im Westen der Stadt, wo sich im 20. Jahrhundert die Industrie ballte. Engagierte Gründer wie Fethke werden die Struktur des Stadtteils nachhaltig verändern.Fethke zahlt pro Monat einen Mitgliedsbeitrag an den Verein in Höhe von 83 Euro. Nebenkosten wie Heizung und Strom trägt er selbst. „Die Miete für ein normales Ladengeschäft hätte ich nicht tragen können“, so Fethke. In seinem Umfeld fühlt sich der Existenzgründer wohl: „Im Haus haben sich unter anderem ein Yoga Studio, eine Kerzenzieherin und ein Imbiss angesiedelt“. Allerdings sind die Wochen vor der Ladeneröffnung mit Renovierungsarbeiten gefüllt. Die Elektrik, sanitäre Anlagen und die Wände müssen von Grund auf saniert werden. „Das Haus war eben vor 15 Jahren das letzte Mal bewohnt“, berichtet Fethke.Für die Wächterhäuser gibt es regelmäßig mehr Bewerber als zu vergebende Wohnungen und Gewerberäume. Jedoch müssen die Häuser bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um in das Programm aufgenommen werden. Konkret heißt das, sie dürfen nicht zu sehr heruntergekommen sein; die Renovierungsarbeiten sollen sich für die Nutzer in einem erträglichen Rahmen bewegen. Kohleofen und Etagentoilette muss dabei allerdings so manches Mal toleriert werden. Der Eigentümer, dem das Geld zur Sanierung fehlt, hat zuvor natürlich seine Zustimmung gegeben.„In Frage für das Programm kommen vor allem denkmalgeschützte Gebäude, also aus der Gründerzeit, Spätklassizismus und Jugendstil“, sagt Heike Will vom Amt für Stadterneuerung und Wohnungsförderung (ASW). In der Blockrandbebauung, die aus städteplanerischen Gründen nicht abgerissen werden darf, sei es sowieso schwierig, Mieter zu finden, da diese oft an lauten Hauptverkehrsadern liegen. Entdeckungen aus einem anderen JahrhundertDie Nutzer der Wächterhäuser können sich auf so manche Entdeckung freuen. Deckenmalereien vom Ende des 19. Jahrhunderts, alte Kachelöfen, Wandfliesen, aufwendig gestaltete Treppenhäuser und Parkettböden, wenn auch nicht in tadellosem Zustand, warten auf sie. Wegen der Renovierungsarbeiten vergibt der Verein Haushalten die Objekte am liebsten an handwerklich versierte Nutzer, Handwerker, Künstler oder Vereine.Im Unterschied zum Beispiel zu Dresden verfügt Leipzig über eine große Altbausubstanz. „Besonders Anfang der 90er Jahre wurde schon viel von privater Hand saniert“, berichtet Will. Generell soll in Leipzig mehr Grün entstehen, und weniger Dichte. Das Potenzial an Rückbau sei aber weitestgehend ausgeschöpft, so Will. Zusammen mit Bremen und Nürnberg startete man gerade ein Modellvorhaben, um ökonomische Rahmenbedingungen zu verbessern, kreative Milieus zu entwickeln und die urbane Lebensqualität zu stärken. Die Nutzungsverträge für die Wächterhäuser laufen in der Regel für drei bis fünf Jahre. Je nach Zustand des Hauses können die Eigentümer ab diesem Zeitpunkt reguläre Mieten verlangen. Bei einem Haus ist dies bereits der Fall. |